Wer sollte eigentlich über eine Sache entscheiden? Nur die Experten? Nur die Gewählten? Vielleicht sogar alle? Die Fragen der Entscheidungskompetenz steht als eine zentrale Problematik im Raum, wenn es um die konkrete Ausgestaltung einer modernen Demokratie geht. Aus dieser Überlegung heraus ist das Konzept der Demokratie der Betroffenheit entstanden. Es folgt der Idee, dass die Personen an einer Entscheidung teilhaben sollen, die auch von ihr betroffen sind.
Die grundsätzliche Idee ist politisch und auch moralisch gut nachzuvollziehen. Daher ist dieses Demokratieverständnis, das auch manchmal als Basisdemokratie bezeichnet wird, vor allem bei Verfechtern der direkten Demokratie und bei Regionalisten beziehungsweise Anarchisten sehr populär. Doch viele praktische Probleme und weniger offensichtliche Ungerechtigkeiten sorgen bisher dafür, dass die Betroffenheitsdemokratie nur in einem sehr geringen Maße und in Form der Bürgerbeteiligung umgesetzt wird.
Wer ist betroffen?
Zunächst stellt sich bei jeder politischen Entscheidung die Frage, wer alles betroffen sein könnte. So ließe sich beispielsweise bei Großprojekten wie einem Flughafen oder einem Kraftwerksneubau argumentieren, dass die Einwohner des ganzen Landes oder gar des ganzen Kontinents direkt oder indirekt von den Umweltfolgen betroffen seien. Viele Verwicklungen und Langzeitfolgen lassen sich während des Entscheidungsprozesses auch gar nicht absehen.
Ein weiterer praktischer Hinderungsgrund ist die Komplexität von Entscheidungen. Sie steht in direkter Konkurrenz zum Prinzip der Beteiligung. Je größer der Personenkreis, desto einfacher muss die Beteiligungsmöglichkeit sein, weil viele komplexe Entscheidungen voneinander abhängen. Jede Entscheidung ohne Konsens ist einerseits ein Problem für die Legitimation. Andererseits ist es in der Regel nicht möglich, einen vollständigen Konsens zu erzielen. Mithin führen die meisten Verfahren der Betroffenheitsdemokratie in eine Blockade von Projekten, Gesetzesvorlagen oder Bestimmungen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich Teile einer potenziellen Meinungsminderheit beginnen, als Vetospieler zu begreifen und von der Blockadefunktion im demokratischen Prozess auch aktiv Gebrauch zu machen.
Kräfte, Raum und Zeit sind die Kernfaktoren
Zusätzlich stellt sich auch noch das Problem der verfügbaren Arbeits- und Abstimmungszeit. Wenn jedes Mitglied einer Gemeinschaft verpflichtend mitbestimmen soll, ist dies mit einem hohen Aufwand an Arbeits- und Lebenszeit verbunden. Dies erhöht die realen und politischen Kosten einer jeder auf diesem Wege herbeigeführten Entscheidung immens und wirft außerdem das Problem auf, wie mit Personen zu verfahren ist, die gar nicht an den Entscheidungen teilnehmen möchten – selbst wenn sie von ihnen betroffen sind.
Wie alle utopischen Systeme ist diese Idee der absoluten Beteiligung bei Betroffenheit im täglichen Verwaltungsleben schwer bis gar nicht umzusetzen. Allerdings zeigen Verfahren zur einfacheren Beteiligung online, dass Bürger durchaus an einer Beteiligung interessiert sind, wenn der Zugang ohne große Hürden zu erreichen ist.